Ein Gespräch über Nachhaltigkeit im Design

Ein Werkstattgespräch mit Martin Langen, Michael Maxein und Felix Stark über Nachhaltigkeit und Nachhaltiges Design.

Von Dr. Christina Zimmer

Seit 1994 können angehende Designerinnen und Designer an der ecosign/Akademie für Gestaltung in Köln Nachhaltiges Design studieren. Wer das Studium hier abschließt, darf sich ecosigner nennen. Zu den traditionellen Aufgaben des akademischen Lebens gehört es seit je, auch für den eigenen akademischen Nachwuchs zu sorgen. Wer also wissen will, was ein ecosigner sei, fragt am besten solche, die nach dem Studium am Projekt ecosign als freiberufliche Lehrende weiterarbeiten. Ihre Antworten zeigen, dass die ecosigner sich ein komplexes Verständnis von Design erarbeiten – für sie ist Nachhaltigkeit kein Öko-Ornament, das dem Design beigepackt wird; vielmehr gilt es, jede gestalterische Entscheidung durch Reflexion auf die komplexen Wechselwirkungen abzusichern.

Was genau ist ein ecosigner?

Ist Nachhaltiges Design zeitgemäß oder Zeitgeist? Was ist heute Nachhaltiges Design? Und vor welchen Herausforderungen stehen Designer morgen? Darüber diskutieren die Kommunikationsdesigner Martin Langen und Michael Maxein sowie der Produktdesigner Felix Stark. Alle drei einst Studierende, heute selbstständige Designer sowie freiberufliche Dozenten an der ecosign/Akademie für Gestaltung. Drei echte ecosigner, die sich einig sind: Es gibt ihn nicht – den typischen ecosigner. Dafür aber sehr unterschiedliche ecosigner, die bei aller Individualität doch etwas verbindet.

Stellt sich die Frage: Was genau ist ein ecosigner? Ein ecosigner ist ein Absolvent der ecosign – natürlich. Aber was bedeutet das konkret? Erste Hinweise gibt vielleicht der Begriff ecosigner. Während der herkömmliche Designbegriff – etymologisch auf das lateinische Verb designare zurückgehend, was bezeichnen, abgrenzen, bestimmen, ernennen bedeutet – lediglich eine Tätigkeit beschreibt, impliziert das Kompositum eco-sign auch den Zweck dieser Tätigkeit: Das Gestalten des oikos, was im Altgriechischen die Gesamtheit einer (Haus-)?Wirtschaftsgemeinschaft bezeichnet. Ein ecosigner bekennt sich also schon im Namen ausdrücklich zu seiner gesellschaftlichen Verantwortung, indem er sein Handeln explizit auf die Gemeinschaft bezieht. Er ist eco-signer, nicht (nur) De-signer. Denn ecosigner gestalten immer mit Blick auf die Bedeutung ihres Handelns für das Fortbestehen des Gesamtsystems. Und das heißt nichts anderes als nachhaltig zu gestalten.

Nachhaltigkeit ist ein Prozess

Wie nachhaltiges Gestalten konkret aussieht, dafür gibt es keine Blaupause. Denn "Nachhaltigkeit selbst ist ein Prozess", erklärt Michael Maxein, "ein ergebnisoffener Prozess." Die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen, deshalb muss man offen bleiben und bereit sein, die Richtung zu wechseln. "Wenn wir beispielsweise in zehn Jahren feststellen, dass wir ein Material, das wir verwendet haben, zu unrecht für nachhaltig gehalten haben, müssen wir eben etwas neues versuchen", so Maxein weiter, "Nachhaltigkeit muss sich immer weiterentwickeln und neue Lösungen suchen." Dieser Besonderheit der Nachhaltigkeit trägt das Lehrkonzept Rechnung. Die Form der Wissensvermittlung entspricht dem Inhalt, denn was an der ecosign gelehrt wird, ist ein Denkansatz, kein starres Dogma. Aus diesem Grund ist das Designstudium auch bewusst interdisziplinär angelegt. Studierende werden auf die Herausforderung vorbereitet, als Gestalter gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Angehende Designer durchlaufen an dieser Akademie keine kanonisierte Weltretterausbildung, in der sie neben dem handwerklichen Rüstzeug eine Weltanschauung quasi intravenös verabreicht bekommen. Stattdessen können sie sich in den unterschiedlichen Disziplinen ausprobieren und ihren ganz individuellen Ausbildungsweg zusammenstellen. Trotz oder gerade wegen dieser Freiheit lernen sie dabei von Anfang an die vielleicht wichtigste Lektion des Lebens: Du kannst frei entscheiden – aber du trägst auch die Verantwortung für deine Entscheidungen. Mit Freiheit umgehen zu können, setzt die Bereitschaft und Fähigkeit voraus, sich mit Dingen selbstständig auseinanderzusetzen. "Reflexionsfähigkeit ist das oberste Lernziel. Es ist wichtig, ein Grundverständnis davon zu haben, dass alles Konsequenzen hat", so Michael Maxein. Deshalb geht es an der ecosign nicht um sture Wissensvermittlung, sondern um die Ausbildung der Urteilsfähigkeit. Nicht nur in Bezug auf die eigenen Arbeiten oder allgemein ästhetischen Fragen, sondern auch auf die gesellschaftlichen Herausforderungen.

Nachhaltigkeit erfordert ein Fahren auf lange Sicht. "Es hat auf jeden Fall mit Entschleunigung zu tun", glaubt Maxein, "Entwicklungen in der Gesellschaft oder der Technik durchaus skeptisch zu sehen und zu beobachten, ob sich etwas bewährt oder nicht." In der Entschleunigung wird Nachhaltigkeit zum Therapeutikum für das Veloziferische, den modernen Beschleunigungswahn. "Die Gangart zu verändern heißt aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben.", so die Überzeugung Starks, "Idealerweise versuche ich mich an Lösungen heranzutasten. Ich bemühe mich, die eventuellen Auswirkungen schrittweise auszuprobieren. Und nicht nach dem Motto: Ich hab da eine Idee und jetzt Vollgas und geradeaus durch die Mitte.‘ Was wir heute brauchen ist mehr Sensibilität unserer Umwelt gegenüber." Möglicherweise muss sich das Selbstverständnis des Designers verändern, um zukunftsfähig gestalten zu können; vielleicht ist es die Entschleunigung im nachhaltigen Designansatz, die den Paradigmenwechsel vom Designer zum ecosigner markiert. Design in der traditionellen Auffassung hat nicht unerheblich zur Entstehung der heutigen Probleme beigetragen. Der Umstand, dass sich der Warenhandel immer schneller dreht, ist wesentlich vom Design getrieben. Als Erfüllungsgehilfen der Industrie waren die Designer der ersten Stunde so gleichsam Geburtshelfer des gegenwärtigen Massenkonsums. Heute und in Zukunft sehen sich ihre Nachfolger mit den Konsequenzen einer entfesselten Konsumgesellschaft konfrontiert und sind aufgefordert, Schäden zu beheben oder wenigstens zu minimieren. Wir leben – zumindest in der westlichen Welt – in einer Überflussgesellschaft, die nicht mehr, sondern eigentlich weniger von allem braucht. "Gilt das auch für die Mehrheit der Designer?" – könnte man provokant fragen.

Für Michael Maxein ist es in dieser Frage entscheidend, Design zu definieren. "Der Designer Victor Papanek sagte, dass es nicht viele Berufe gebe, die mehr Schaden anrichten als der des Designers. Denn wir produzieren eben ständig etwas. Papanek folgte daher seiner eigenen Definition von Design. Er hat beispielsweise ein Radio aus einer alten Blechdose entwickelt, also aus Materialien, die ihm in Drittweltländern zur Verfügung standen. Ökologisches Design bedeutet dann, den Menschen vor Ort zu zeigen, wie sie selbst und mit eigenen Mitteln bauen können, was wichtig für sie ist. Auch wir können uns hierzulande fragen, welche Schwerpunkte wir mit unserer eigenen Arbeit verfolgen wollen."

Der Beruf des Designers hat sich verändert

War der Beruf des Designers Teil des Problems, kann er sich auch zum Teil der Lösung entwickeln. Vorausgesetzt, Designer reflektieren ihre Aufgabe innerhalb des Systems. Die Welt hat sich verändert und mit ihr die Aufgabe von Gestaltung. Als bloßer Produzent von Kaufanreizen hat der Designer heute ausgedient. Die mögliche Aufgabe von Design in einer postmodernen Gesellschaft reflektiert Peter Sloterdijk in seinem Essay "Das Zeug zur Macht". Immer weniger Menschen seien demnach heute noch in der Lage, die hochtechnisierte Umwelt, in der wir leben, zu begreifen. An der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik komme es dem Design zu, den Menschen handlungsfähig zu machen. Das Design "sichert die Kompetenzgrenzen des Einzelnen, indem es dem Subjekt Verfahren und Gesten an die Hand gibt, im Ozean seiner Inkompetenz als Könner zu navigieren."

Design im Sinne der Nachhaltigkeit soll nicht (nur) Konsumimpulse geben, sondern auch Alltagsentlastung bieten. Es geht darum, so Maxein, "Komplexität für eine Menge Menschen verständlich zu machen. Wir als Designer müssen die Komplexität, die Alltag und Technik mit sich bringen, so aufbereiten, dass die Menschen noch damit umgehen können. Design bedeutet, dass wir dafür sorgen, dass wir mit einem Telefon tatsächlich telefonieren können – auch wenn wir die Technik dahinter nicht verstehen. Es reicht, mit dem Finger drüberzuwischen. Design erlaubt es vielen Menschen, solche Geräte zu bedienen und sie als Alltagserleichterung zu erfahren."

Green Design: Inhalte statt Oberflächen gestalten für mehr Nachhaltigkeit im Designprozess

Nachhaltiges Design bedeutet, tiefer zu schauen, so Maxein. "Es geht nicht nur darum, Oberflächen zu optimieren, sondern sich auch für Inhalte zu interessieren. Im einfachsten Fall bedeutet das, dass ich meinen Kunden eben nicht nur Layouts vorlege, sondern mitdenke, mich in Themen richtig eindenke. Ich setze den Text nicht nur, ich lese ihn auch. Wenn es beispielsweise um Ökostrom geht und ich mich in diesem Thema auskenne, weise ich meinen Kunden darauf hin, wenn der Inhalt ein wenig schief ist. Meine bisherige Erfahrung zeigt, dass Kunden froh über solche Rückmeldungen sind." Das ist es, was das Kompositum ecosign meint: Nicht nur Oberflächenoptimierung, sondern Mitgestaltung am gesamten System.

Niemand weiß, wie die Welt morgen aussieht, aber egal was die Zukunft bringt, "Kreative sind immer gefragt", ist Langen überzeugt, "um aus dem Chaos wieder Sinn entstehen zu lassen." Dass der Berufsstand der Designer in Gestaltungsfragen von der kreativen Masse mittelfristig abgeschafft wird, glaubt Stark nicht: "Mir gefällt, dass jetzt eine Generation von Laien nachrückt, die einfach macht, was sie will, und nicht auf eine Unternehmensstruktur angewiesen ist. Das erhöht den Druck auf uns und sorgt dafür, dass wir noch eine Schippe oben drauf legen müssen. Wir müssen kontinuierlich besser, intelligenter, innovativer werden. Genau so wie auch die ecosign sich permanent weiterentwickelt."

Was bedeutet eigentlich Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung? – Definition

Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (WCED) definiert im Brundtland-Bericht 1987 nachhaltige Entwicklung als eine „Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Hauff 1987). Während „nachhaltige Entwicklung“ den Prozess gesellschaftlicher Veränderung meint, beschreibt der Begriff „Nachhaltigkeit“ einen Zustand, also das Ende dieses Prozesses.

 
 

Wenn Sie mehr zu den Themen Nachhaltigkeit und Design erfahren möchten, empfehlen wir Ihnen unsere Linkliste mit interessanten Verbänden, Organisationen, Stiftungen und Unternehmen sowie unsere Literaturhinweise rund um das Thema Nachhaltigkeit und Nachhaltiges Design.

Martin Langen

Martin Langen
ecosign-Absolvent

Michael Maxein

Michael Maxein
ecosign-Absolvent

Felix Stark

Felix Stark
ecosign-Absolvent

Übrigens: Das Interview ist Bestandteil des Fachbuchs Die Geschichte des Nachhaltigen Designs, das durch die Beiträge namhafter Autorinnen und Autoren interessante interdisziplinäre Einblicke in das Nachhaltige Design und seine noch junge Geschichte gewährt.

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